Schweizer Meisterschaften Kunstturnen Elite, 22./23. Juni 2024 in Biel
Der Olympiatraum lebt weiter
Den Traum an den Spielen teilzunehmen, hegt Moreno Kratter (TV Rüti) schon lange. Spätestens, seit er im Sommer 2015 am European Youth Olympic Festival in der georgischen Hauptstadt Tiflis Gold am Reck gewann. «Die ganze Organisation, die vielen Sportler aus verschiedenen Nationen war etwas ganz Besonderes. Diese olympische Atmosphäre möchte ich wieder erleben», versicherte er damals als 17-Jähriger.
Neun Jahre später hatte er an der SM in Biel die Möglichkeit sich diesen Traum zu erfüllen. Neben den Medaillen ging es um die letzte Chance auf einen der fünf hart umkämpften Schweizer Startplätze an den Sommerspielen in Paris. Die SM war der dritte und letzte Selektionswettkampf. In den ersten beiden Selektionen klassierte sich Kratter im Mehrkampf auf Rang 4 und 5 und vor allem im ersten Wettkampf an den Geräten Boden, Barren und Sprung mit einer hohen Wertung ein Ausrufezeichen gesetzt.
Kratter startet am Zittergerät Pauschenpferd gut in den Wettkampf. Am Sprung zeigt er eine Radwende auf den Sprungtisch, gefolgt von einem Salto rückwärts gestreckt mit anderthalbfacher Drehung um die Längsachse in den perfekten Stand. Die hohe Wertung von 14,266 Punkten lässt ihn und die vielen Fans jubeln. Nach fünf von sechs Geräten liegt er im Zwischenklassement auf Rang 3. Ausstehend ist mit dem Boden noch eines seiner starken Geräte – eine gute Ausgangslage also. Doch es sollte nicht sein: Kratter springt bei der zweiten Bahn zu hoch ab, überdreht den Doppelsalto vorwärts und kann die Landung nur mit einer Rolle auffangen. Die Wertung von 12,400 Punkten reicht nicht. Kratter wird im Mehrkampf Vierter mit nur 0,566 Punkten Rückstand auf Bronze. «Meine Emotionen kochen aktuell über, es ist ein Horror für mich. Diese Bodenübung wäre so wichtig gewesen. Schon wieder diese zweite Bahn, wie im zweiten Selektionswettkampf. Im Training klappte es perfekt», so Kratter nach dem Wettkampf sichtlich bemüht Worte zu finden.
Was dieses Resultat nun für den Olympia-Startplatz bedeutet, kann er nicht sagen. Am Donnerstag, 27. Juni gibt Swiss Olympic die Selektionen im Kunstturnen bekannt. Kratter will positiv denken: «Vorbereiten muss ich mich bestimmt. Wenn ich nicht im Team bin, bin ich bestimmt einer der Reserveturner».
Moreno Kratter |
Taha Serhani |
Samir Serhani |
Nach wie vor im Rennen ist auch Taha Serhani, der seine turnerische Laufbahn beim TV Hegi begann. Schon im Vorfeld hat der Winterthurer bekannt gegeben, dass er nach den Olympischen Spielen seinen Rücktritt vom Spitzensport geben wird. Aufhören will er nach Paris, das wäre der Höhepunkt seiner Karriere. Der Start glückte dem 29-Jährigen nicht nach Wunsch. Der Sprung missglückte ihm. «Es war ein Kaltstart, es dauert zu lange bis ich antreten durfte», erklärte er. Da die Wettkämpfe der Frauen und Männer parallel liefen, aber immer nur zwei gleichzeitig turnten, schleppte sich der Wettkampf für die Athleten dahin. Das Publikum konnte dafür alle bestaunen. Da Serhani keinen Mehrkampf turnt, kam er erst eine Stunde nach dem Einturnen zum Einsatz. Am nächsten Gerät Barren konterte mit einer Topübung. Als er den Abgang, den Doppelsalto vorwärts in den perfekten Stand turnte, jubelte er: Er war zurück im Rennen. Am Reck wirbelte er durch die Lüfte und fasste die Stange sicher wieder. Auch hier «pflanzte» er den Ausgang. Mit 14,186 Punkten erhielt er die höchste Wertung aller am Reck. Am Magnesiakübel beim Präparieren der Hände fürs letzte Gerät Pauschenpferd schlich sich plötzlich Wehmut ein: «Es war ein Gedankenblitz: Crazy, dies ist meine letzte Übung in der Schweiz!», so Taha Serhani.
Taha Serhanis Chancen sind intakt, dass es nicht seine letzte Übung überhaupt war, mit seinen starken Geräten kann er das Schweizer Team gut ergänzen.
Neben Taha Serhani war auch sein Bruder Samir Serhani am Start. Samir Serhani wurde im Mehrkampf guter Fünfter. In den anderen beiden Selektionen klassierte er sich auf Rang 5 und 4. «Zehn Monate nach meiner Schulter-OP bin ich sehr zufrieden. Drei sturzfreie Wettkämpfe. Vor allem habe ich ein gutes Körpergefühl und turne ohne Schmerzen.» Hinsichtlich Olympia sieht er für sich eventuell die Rolle als zweiter oder dritter Reserveathlet.
In den Gerätefinals vom Sonntag erturnte sich Ian Raubal (TV Opfikon-Glattbrugg) Bronze an den Ringen. Er spürte den Trainingsrückstand nach seiner Fingerverletzung und konnte daher nicht sein ganzes Potential zeigen. Moreno Kratter gewann Bronze im Barrenfinale.
Fünf Medaillen in den Gerätefinals der Frauen
Stefanie Siegenthaler |
Martina Eisenegger |
Angelina Winiger |
Ebenfalls Vierte im Mehrkampf wurde Stefanie Siegenthaler (Kutu Hinwil). Wie schon bei Kratter missriet ihr das letzte Gerät, die Bodenübung. Und auch für sie sah es lange sehr gut aus: Endlich glückte ihr wieder der Balken nahezu perfekt. Nach der Landung führte sie vor Freude ein Tänzchen auf. «Ja, ich erlebte heute eine Achterbahn an Gefühlen, aber genau diese Emotionen sind mein Anreiz zu turnen. Wenn es gut läuft, ist es wunderbar, wenn nicht eine Motivation es besser zu machen», erklärt sie und ergänzt lachend: «eine Art Hassliebe.» In den Gerätefinals konnte sie an ihrem Paradegerät Stufenbarren Gold sowie Bronze am Balken feiern.
Martina Eisenegger (TV Rüti) bestätigte in Biel ihre guten Ergebnisse an der EM im Mai dieses Jahres. Im Mehrkampf erturnte sie sich am Stufenbarren und Balken jeweils die höchste Wertung. Aufgrund von Handgelenksschmerzen verzichtete sie auf den Sprung. «Das hatten wir im Vorfeld entschieden, am Wettkampf ärgerte es mich dann etwas, da ich realisierte, ich hätte Chancen auf eine Medaille im Mehrkampf», so Eisenegger. In den Gerätefinals gewann sie Gold am Balken sowie Bronze am Stufenbarren.
Keinen optimalen Tag erwischte Angelina Winiger (TV Wädenswil) trotz guter Vorbereitung an ihrer ersten Elite SM. Im Gerätefinal am Sonntag konnte die Balken Juniorinnen Schweizer Meisterin 2023 sich mit Silber im Gerätefinal Balken mit der SM Biel ‘versöhnen’. «Es ist sehr schön für mich zu sehen, dass ich doch mithalten kann», erklärte die 16-Jährige.
Bei den Frauen fehlte Lou-Anne Citherlet (Kunstturnerinnen Neerach). Die Watterin zog sich Ende Mai 2024 in Koper (SLO), am FIG World Challenge Cup, einen mehrfachen Bänder- und Sehnenriss am Fuss zu, welche operativ behandelt werden mussten.
Text: Renate Ried
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